sport auto 11/09

In Reih und Speed
Neun Serien-Sportwagen und fünf getunte Supersportler mit zusammen 8819 PS kämpfen um die Bestzeit beim großen Beschleunigungs- und Bremsduell 0-300-0
km/h. Protokoll eines temporeichen Tages.

Gebannt blicken unzählige Augenpaare auf den Bildschirm des iPhones. Dunkle Wolken ziehen über das dort aufgerufene Wetterradar eines Internetdienstes. "Und wann hört der Regen endlich auf?", lautet die meistgestellte Frage an diesem Samstagmorgen. 13 Uhr, 15 Uhr - gar nicht? Die Mienen der Testcrew verfinstern sich bei jeder Prognose mit den am Himmel ziehenden Regenwolken. Erst um 18:15 Uhr blinzeln endlich die ersten Sonnenstrahlen durch die dunkle Wolkendecke - der Startschuß zum großen Beschleunigungs- und Bremsduell 0-300-0 kann fallen.

Neben trockenen Witterungsverhältnissen ist eine geeignete Teststrecke die Voraussetzung für den Extrem-Test. Neun Serienfahrzeuge und fünf getunte Highspeed-Probanden rollen dafür auf den 12,3 Kilometer langen Ovalrundkurs in Papenburg.

Während beim Autoquartett 0-100-Werte und die Höchstgeschwindigkeit zählen, ist der Sprint aus dem Stand auf Tempo 300 deutlich anspruchsvoller. Während bei einer perfekten Beschleunigung auf Landstraßentempo viel vom Feingefühl des Fahrers im Umgang mit Kupplung und Gaspedal abhängt, spielt bis 200 und weiter Richtung 300 km/h die Motorleistung zunehmend eine Rolle. Bei Stammtischprahlereien eher uninteressant ist die negative Beschleunigung. Doch nicht nur für Rennprofis zählt eine gute Bremsanlage ebenso viel wie die Motorleistung. Wer mit einem Sportwagen sicher ankommen will, sollte sich auch um die Verzögerung seines Autos Gedanken machen.

Um gleiche Bedingungen für alle Teilnehmer zu gewährleisten, rollen die Fahrzeuge vor dem Start an die Zapfsäule. "Volltanken" und "Wiegen" stehen auf dem Programm an erster Stelle. Anschließend ploppt der Saugnapf des knallroten 2D-Messsystems an jede Frontscheibe. Das Testprozedere folgt einem strengen Ablauf: Jedes Fahrzeug wird zur besseren Vergleichbarkeit an identischer Stelle beschleunigt und gebremst. Um Messfehler zu vermeiden, wird die Beschleunigung getrennt von der Vollbremsung gemessen, und beide Werte werden später zu einer Gesamtzeit addiert. Gefahren wird grundsätzlich mit 2 Personen.

Vor dem Start zischen außerdem noch die Luftdruckprüfer der Boxencrew. "Bei der Wahl des richtigen Reifenluftdrucks gibt es einen Zielkonflikt zwischen niedrigem und hohem Luftdruck. Die richtige Mischung für diesen Test ist nicht einfach zu finden", erklärt Markus Happel, Reifen-Ingenieur von Dunlop. Für eine perfekte Beschleunigung ist ein höherer Luftdruck ideal, um einen geringen Rollwiderstand des Reifens zu erreichen. Beim Bremsen bringt eine größere Aufstandsfläche der Pneus Vorteile, die über einen niedrigeren Luftdruck erreicht wird. "Natürlich hängt der Luftdruck auch vom Gewicht des Fahrzeugs ab. Ein Audi RS6 fährt mit einem höheren Luftdruck als beispielsweise ein Fort GT", weiß Reifen-Mann Happel.

Das Boxenteam springt zurück, der Lollipop schnellt hoch - der erste Kanditat schießt aus der Boxengasse aufs Oval. Eine exklusive Premiere: 3,8 Liter Hubraum, 500 PS und Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe - als erstes Automagazin darf sport auto den neuen Porsche 911 Turbo testen. In nur 3,1 Sekunden hechelt der aufgeladene Sprinter aus Stuttgart-Zuffenhausen über die erste Geschwindigkeitsmarke und schnappt sich den Rekord der Serienfahrzeuge beim Spurt von null auf 100 Kilometer pro Stunde.

Dank variablem Allradantrieb wirkt ein Großteil der Antriebskräfte beim Beschleunigen auf die Hinterräder. Außerdem hilft eine perfekt abgestimmte Launch Control, den Turbo mit idealem Schlupf zu beschleunigen. Das neue, optionale Dreispeichen-Sportlenkrad mit Schaltwippen sorgt dabei im manuellen Modus für Rennflair im Seriencockpit. Nach 10,8 Sekunden zeigt das Messgerät 200 an, bevor nach 41,9 Sekunden die 300er-Marke fällt. Deutlich schneller geht's zurück auf null. Ein heftiger Tritt aufs Bremspedal reißt an den Zügeln des Stuttgarter Rennpferds. Nach 7,11 Sekunden (11,72 m/s²) steht der Turbo dank der giftig zupackenden Bremsanlage mit rundum innenbelüfteter Keramik-Bremsscheiben (380 Millimeter vorn und 350 Millimeter hinten) wieder friedlich auf dem dunklen Asphalt. Insgesamt bleibt die Uhr bei der 0-300-0 Prüfung nach 49 Sekunden stehen.
Anschließend knallt der nächste Supersportler auf die Bahn. Wer hat sich denn da auf die Hochgeschwindigkeitspiste verirrt. Der Cadillac CTS-V wirkt auf den ersten Blick wie eine gemütliche Reiselimousine. Doch der Ami hat es faustdick hinter den Ohren - pardon - unter der Motorhaube. Hier grollt ein V8 mit Kompressoraufladung, 564 PS und 747 Newtonmeter Drehmoment. 4,7,  14,3,  69,3 Sekunden - 100, 200, 300 km/h. Cadillac verspricht 4,2 Sekunden auf Landstraßen-Tempo, doch auch mit extrem viel Gefühl im Kupplungsfuß keilt der CTS-V aus. Leicht durchdrehende Räder sind kaum zu vermeiden. Dafür nehmen die Bremssättel die 380er-Keramikscheiben behertzt in die Zange. Nach 7,67 Sekunden steht die Renn-Limo.

Auch wenn der Caddy mit 77 Sekunden die langsamste Zeit aufs Parkett legt, ist dies angesichts des Gewichts von fast 2 Tonnen doch beeindruckend. Noch mehr verblüfft das Preis-Leistungsverhältnis. Mit einem Testwagenpreis von 74 990 Euro ist der CTS-V der günstigste Papenburg-Teilnehmer.

Der Ruf Rt 12 S kommt mit 315 350 Euro zwar deutlich teurer, ist dafür aber auch wesentlich schneller. Mit seinem Leistungsplus von 185 PS gegenüber dem Serien-911 Turbo und insgesamt 685 PS fällt es dem Handschalter auf Basis des Carrera 4 mit leistungsgesteigertem Turbomotor allerdings schwer, vor Kraft auch ordentlich zu laufen. Eine straffere Motorlagerung und dadurch geringere Schwingungen des Aggregats könnten zu einem besseren Startverhalten verhelfen. So bleibt der Zeiger beim 100 km/h-Sprint bei 3,6 Sekunden und damit eine halbe Sekunde später als beim Turbo von der Stange stehen.

Trotzdem benötigt der Ruf für die komplette 0-300-0-Prüfung nur 34,4 Sekunden und schafft es am Schluß auf Platz drei der Serienfahrzeug-Wertung.

Aber nun begrüßen wir den Titelverteidiger. Nach dem Ruf rollt mit dem Koenigsegg CCX-R der Vorjahressieger auf die Bahn. 24,7 Sekunden später rauscht der schnelle Schwede im Tiefflug über die 300 km/h-Marke. Nach weiteren 6,86 Sekunden steht der Tempobolzer aus dem hohen Norden wieder. Macht zusammen 31,6 Sekunden und garantiert am Ende des Tages erneut den höchsten Podestplatz.

"Im letzten Jahr haben wir für 0-300-0 nur 29,2 Sekunden benötigt, trotzdem bin ich mit dem Ergebnis natürlich sehr zufrieden", sagt Firmen-Chef Christian Koenigsegg, der diesmal auf ein nicht perfekt präpariertes Kundenfahrzeug zurückgreifen musste.

Mehr kann er nicht sagen, der Lamborghini Murciélago LP 670-4 Super Veloce schneidet ihm brüllend weitere Worte ab und gewinnt klanglich die Oberhand. In 3,2 Sekunden jagt der 670 PS-Kampfstier aus Sant’Agata Bolognese dank gut arbeitender Launch Control mit leicht zuckendem Heck auf 100 km/h, schreit sich binnen 29,7 Sekunden auf Tempo 300, um nach 6,49 Sekunden wieder friedlich schnaubend im Stillstand zu verharren.

Mit 12,84 m/s² krallt sich der Lambo am effizientesten in den Asphalt und sichert sich so die Krone des besten Bremsers.

Der Gumpert Apollo steht aus Tempo 300 nach 6,59 Sekunden fast so schnell wie der Lamborghini. Doch bevor es so weit ist, rollt der Rennwagen mit Straßenzulassung scheinbar erst einmal die Hunaudière-Gerade aus Le Mans in Papenburg vor sich aus.

So zumindest fühlt sich der Pilot, wenn er in der engen Kanzel unter den Flügeltüren kauert und der 700-PS-Bolide in 26,7 Sekunden auf 300 km/h rennt. Mit einer Gesamtzeit von 33,3 Sekunden freut sich Gumpert-Chef Roland Gumpert über Platz zwei im 0-300-0-Duell.

Nicht ganz so schnell unterwegs ist der Porsche GT3. Der Handling-Star aus Stuttgart glänzt mit sehr guter Bremsstabilität aus Tempo 300 und einer überzeugenden Verzögerung von 12,33 m/s² (6,76 Sekunden).

Zwar gelingt der Sprint auf 100 km/h in glanzvollen vier Sekunden, Richtung 300 geht dem mit 435 PS von der Motorleistung her schwächsten Fahrzeug im Test dann aber etwas die Puste aus (Gesamtzeit 57,1 Sekunden).

Mit V10-Power und 507 PS stampft der Wiesmann GT MF5 in 47,7 Sekunden fast zehn Sekunden schneller durch die 0-300-0- Prüfung. Um in 3,9 Sekunden von null auf 100 zu gelangen, sollte die zu viel Schlupf produzierende Launch Control ausgeschaltet bleiben.

Mit leicht instabilem Bremsverhalten kommt der Wiesmann nach akzeptablen 7,11 Sekunden zum Stehen.

53,7 Sekunden auf 300 km/h, 7,53 Sekunden zurück auf null lautet das Ergebnis für den Aston Martin V12 Vantage.
61,2 Sekunden im sport auto-Leistungstest bedeuten am Ende Rang acht unter den Serienfahrzeugen.

Ein besseres Ergebnis verhageln dem Bond-Boy seine mittelmäßige Traktion, die wenig standfeste Kupplung und das knorrige Getriebe. Doch wer kann dem galanten Briten dieses Resultat bei seiner Schönheit krummnehmen?

Schnelles Triumvirat an der Spitze

Die Gesamtzeiten der drei Erstplatzierten in der Klasse der Tuning-Fahrzeuge beim 0-300-0-Wettstreit lauten: 30,3 Sekunden, 30,8 Sekunden und 33,4 Sekunden. Oder in Worten: Geiger-Ford GT vor Cargraphic 997 Turbo GT RSC 3.6 und Techart GTstreet RS.

Mit 790 PS donnert der Geiger-Ford GT als schnellstes Fahrzeug des gesamten Tests in 22,8 Sekunden auf 300 km/h.

Knapp dahinter rauscht der Cargraphic 997 Turbo GT RSC 3.6 in drei Sekunden auf Langstraßentempo und krönte sich damit zum 0-100-Helden der sport auto-Veranstaltung.

"Ein super Ergebnis, wir haben vorher extra noch einmal die Kupplung verstärkt", erklärt Michael Schnarr, Mitgründer von Cargraphic.

Knapp dahinter glänzt der Techart GTstreet RS mit dem besten Verzögerungswert unter den getunten Fahrzeugen (12,04 m/s²).

Beeindruckend: Als schwerstes Fahrzeug (2.102 Kilogramm) schnellt der Audi RS6 von MTM in 3,6 Sekunden auf Tempo 100 und in 35,5 Sekunden auf 300 km/h. Das Erfolgsrezept: 730 PS und 785 Newtonmeter maximales Drehmoment.

Den Schlussakkord des Geschwindigkeitsfestivals in Papenburg lässt eine Geiger-Corvette Z06 mit 591 Pferdestärken erklingen. Mit unrund wummerndem Leerlauf und Rennwagengebrüll bollert die fette Vette zwar in nicht bahnbrechenden 50,7 Sekunden durchs Ziel der 0-300-0-Prüfung.

Den Pokal für den besten Sound-König schnappt sich die lautstarke Ami-Flunder aber sofort. Da geraten doch Bestzeiten manchmal glatt zur Nebensache.

Zum Abschluß nochmals alle Ergebnisse im Überblick:


Text und Fotos mit freundlicher Genehmigung von